Regelungen der Apothekenmärkte in EU-Ländern im Lichte der Niederlassungsfreiheit
Deutschland
Die Grundsätze der Gründung und Betreibung von Apotheken in Deutschland regelt das Apothekengesetz, die vorsieht, dass die Apotheken nur von Apothekern betrieben werden dürfen. Ein Apotheker darf eine Apotheke und drei Filialapotheken betreiben. Mehrere Personen zusammen können eine Apotheke nur in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer offenen Handelsgesellschaft betreiben. In diesen Fällen bedürfen alle Gesellschafter der Erlaubnis. Beteiligungen an einer Apotheke als „Stiller Gesellschafter“ oder andere Vereinbarungen, bei denen die Vergütung am Umsatz oder am Gewinn der Apotheke einer anderen Person ausgerichtet ist, sind unzulässig. Dies betrifft auch am Umsatz oder Gewinn ausgerichtete Mietverträge. Die Verpachtung einer Apotheke ist nur in den im Gesetz bestimmten Fällen zulässig.
In Deutschland gibt es keine zusätzliche geographische oder demografische Zulassungsvoraussetzungen. Dies beruht auf dem sog. „Apotheken-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 1958 (BVerfG – 1 BvR 596756), in dem festgestellt wurde, dass auf dem Gebiete des Apothekenrechts der Verfassungslage gegenwärtig allein die Niederlassungsfreiheit entspricht, verstanden als das Fehlen objektiver Beschränkungen der Zulassung. Demnach darf in Deutschland überall und jederzeit eine Apotheke gegründet werden, sofern die entsprechenden Gesetze befolgt werden, darunter das Apothekengesetz und die Apothekenbetriebsordnung.
Im Urteil vom 19. Mai 2009 in den verbundenen Rechtssachen C‑171/07 i C‑172/07 hat der EuGH bei der Beurteilung der deutschen Regelung festgestellt, dass nationale Regelungen welche den Personen, die keine Apotheker sind, den Besitz und den Betrieb von Apotheken verwehren, der Niederlassungsfreiheit nicht widersprechen.
Großbritannien
Nach dem Gesetz über Medikamente (Medicines Act 1968) darf eine Genehmigung für den Betrieb der Apotheke ausschließlich Pharmazeuten, die Einzelgewerbe betreiben, Gesellschaften, die sich nur aus Pharmazeuten zusammensetzen oder anderer juristischen Personen (in Praxis am häufigsten der Gesellschaften mit beschränkter Haftung) unter der Voraussetzung, dass die Leitung einer Apotheke durch einen Pharmazeuten übernommen wird, der die ordnungsgemäße Erfüllung der mit dem Betrieb der Apotheke verbundenen Pflichten überwachen wird, erteilt werden.
Die Hauptvoraussetzung für die Erlangung einer Genehmigung für die Eröffnung einer neuen Apotheke in Großbritannien, also für den Abschluss eines Vertrages mit National Health Service („NHS”), ist die Darlegung durch den Antragsteller, dass die Eröffnung neuer Apotheke zur Gewährleistung des Zugangs zu pharmazeutischen Dienstleistungen für lokale Bevölkerung erforderlich ist. Deshalb wird nach der Antragstellung noch eine Bedarfsprüfung durchgeführt.
In Großbritannien gibt es grundsätzlich keine geographischen oder demografischen Einschränkungen, die auf Apothekenzahl Einfluss hätten. Diese wird durch die tatsächliche Nachfrage an pharmazeutische Dienstleistungen begründet. Einige Einschränkungen betreffen nur die sog. kontrollierten Gebiete, die als landwirtschaftliches Gelände bezeichnet werden. Über die Anträge auf Genehmigung für die Gründung einer neuen Apotheke auf diesem Gelände wird erst nach der Prüfung, ob eine neue Apotheke die ordnungsgemäße Erbringung der medizinischen und pharmazeutischen Dienstleistungen in der bestimmten Gegend nicht beeinträchtigen wird, entschieden.
Österreich
In Österreich dürfen konzessionierte Apotheken durch Personen gegründet werden, die allgemeine Berufsberechtigung als Apotheker im Sinne des Apothekengesetzes besitzen. Die Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn in der Gemeinde des Standortes der öffentlichen Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat und ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke besteht.
Es wird jedoch angenommen, dass kein Bedarf besteht, wenn sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte eine ärztliche Hausapotheke befindet und weniger als zwei Vertragsstellen (volle Planstellen) von Ärzten für Allgemeinmedizin besetzt sind, oder die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke weniger als 500 m beträgt oder die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen sich in Folge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5 500 betragen wird.
Als zu versorgende Personen sind die ständigen Einwohner aus einem Umkreis von vier Straßenkilometern von der Betriebsstätte der bestehenden öffentlichen Apotheke zu verstehen. Wenn die Zahl der ständigen Einwohner weniger als 5 500 beträgt, so sind die auf Grund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs in diesem Gebiet zu versorgenden Personen bei der Bedarfsfeststellung zu berücksichtigten. Die Entfernung zwischen der Apotheken darf ausnahmsweise unterschritten werden, wenn es besondere örtliche Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung dringend gebieten.
Urteil des EuGH in der Sache C-367/12
Die österreichische Regelung war Gegenstand der Beurteilung im Lichte der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, die in dem Urteil des Gerichtshofs des EU vom 13. Februar 2014 in der Sache C-367/12 vorgenommen wurde.
Der EuGH betonte in seiner Entscheidung, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht verwehrt ist, ein System der vorherigen Genehmigung für die Niederlassung neuer Leistungserbringer wie der Apotheken vorzusehen, wenn sich ein solches System als unerlässlich erweist, um eventuelle Lücken im Zugang zu Leistungen des Gesundheitswesens zu schließen und um die Einrichtung von Strukturen einer Doppelversorgung zu vermeiden, so dass eine Gesundheitsversorgung gewährleistet ist, die den Bedürfnissen der Bevölkerung angepasst ist, das gesamte Hoheitsgebiet abdeckt und geografisch isolierte oder in sonstiger Weise benachteiligte Regionen berücksichtigt (vgl. Urteil in den verbundenen Sachen Blanco Pérez und Chao Gómez).
In der entschiedenen Sache hat der EuGH festgestellt, dass die österreichischen Voraussetzungen grundsätzlich einen objektiven Charakter haben, allerdings stellte er das Kriterium der Zahl der „weiterhin zu versorgenden Personen“ in Frage. Nach Auffassung des EuGH bringe seine Anwendung die Gefahr, dass für bestimmte Personen, die in ländlichen und abgelegenen Regionen außerhalb der Versorgungsgebiete bestehender Apotheken wohnen, insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, kein gleicher und angemessener Zugang zu Apothekendienstleistungen sichergestellt ist.
Mitgliedstaatliche Regelungen, die als essenzielles Kriterium bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke eine starre Grenze von „weiterhin zu versorgenden Personen“ festlegen und den zuständigen nationalen Behörden keine Möglichkeit haben, von dieser Grenze abzuweichen, um örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen, seien mit Art. 49 AEUV unvereinbar.
Infolge des Urteils des Gerichtshofs fügte man in das österreichische Apothekengesetz eine neue Vorschrift zu. § 10 Abs. 6a in aktueller Fassung besagt, dass die Zahl der von der Betriebsstätte einer oder mehrerer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen zu unterschreiten ist, wenn es auf Grund besonderer örtlicher Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung unter Berücksichtigung des Versorgungsangebots durch bestehende Apotheken einschließlich Filialapotheken und ärztlichen Hausapotheken geboten ist.